Transparenz „by Projects“: Ein Paradoxon

Transparenz „by Projects“: Ein Paradoxon

Transparenz „by Projects“: Ein Paradoxon 2560 1504 Lorenz Gareis

Kundenworkshop. Thema: Status des zur Zeit komplexesten Umstrukturierungsprojekt. Der Besprechungsraum ist voll. Das gesamte Top-Management ist anwesend, inkl. der Ebene unter dem Vorstand, das Projektteam, verschiedene Berater usw.

Wir präsentieren die größten Herausforderungen, vor denen das Projekt momentan steht. Die Diskussion beginnt. Und plötzlich stehen die irrelevantesten Details im Mittelpunkt des Gesprächs. Was ist da gerade passiert?

Wenn ich über mehrere ähnliche Projektsituationen nachdenke, die ich erlebt habe, finde ich eine Gemeinsamkeit. Transparenz scheint wünschenswert zu sein … bis es zu viel wird.

Basierend auf unserem Selbstverständnis als Consultants für Projekt- bzw. Changemanagement ist es uns wichtig, auf mögliche Fallstricke oder gravierende Unregelmäßigkeiten hinzuweisen. Niemals mit der Absicht, Rolle A oder B die Schuld zu geben. Wir glauben daran, dass wir Probleme nur lösen können wenn wir uns einig sind, dass sie existieren und dass sie unsere Aufmerksamkeit benötigen. Wir glauben an „konstruktive Konflikte“.

Projektmanager sind oft mit ähnlichen Situationen konfrontiert – besonders in Organisationen mit geringer Projektmanagement-Reife. In den meisten Fällen wirkt die Transparenz, die durch qualitativ hochwertige Projektpläne erreicht werden kann, für das Projektteam überraschend. Das Projektteam entwickelt sofort ein Bewusstsein für Herausforderungen, denen das Projekt ausgesetzt sein könnte. Zum Beispiel aufgrund mangelnder Klarheit in Bezug auf Prozesse, Zuständigkeiten oder Verantwortungsbereiche, die in der Linienorganisation bestehen. Nun könnte man denken: „Hey, das ist gut, dass wir das schon früh im Projekt entdeckt haben. Nun können wir mit dieser Situation entsprechend umgehen können.“ (Das folgende Video liefert einige Denkanstöße.)

Wo ist der Haken? Projektmanagement – und ergänzende Ansätze wie das Projektportfoliomanagement – schaffen ein neues Maß an Transparenz. Ein Maß, das es bisher nicht existent war. Einerseits bietet dies neue Möglichkeiten im Umgang mit herausfordernden Situationen, bei der Abstimmung gegensätzlicher Ansichten, bei der Priorisierung von Projekten und beim Management von Stakeholder-Erwartungen. Andererseits macht uns Transparenz angreifbar. Unsere Entscheidungsprozesse werden in Frage gestellt, unsere eigenen Mängel, Fehler und Unsicherheiten werden sichtbar. Und diese Themen werden vor allem auf der obersten Führungsebene noch viel zu oft tabuisiert. 

Wir stehen also vor einer paradoxen Situation. Die Transparenz, die durch professionelles Projektmanagement erreicht werden kann, ist die notwendige Grundlage für strategische Entscheidungen. Anfänglich ist das erwünscht. Gleichzeitig schafft diese Transparenz Angst und wird daher minimiert, indem Macht und Autonomie von Projekten eingeschränkt werden. Diese Situation zu überwinden, ist offensichtlich nichts, was wir in einem einzelnen Projekt erreichen können. Dies ist eine Frage der Unternehmenskultur und der Umgang damit erfordert viel Zeit und Konzentration in der gesamten Organisation. Aber es ist ein sehr relevanter Kontext für Projekte. Und als Projektmanager müssen wir uns dieser Situation bewusst sein und entsprechend antizipieren.

For English version please see: https://lnkd.in/dwJTc7Z.

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Über den Autor

Lorenz Gareis

ist Managing Director der Roland Gareis Consulting. Zertifizierter Projektmanager (pma/IPMA Level C).

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